text and press

Mittels Farben und Formen, Rhythmus und dynamischer Gesten den Augenblick einfangen und sichtbar machen ist meine Intention. Jeder Pinselstrich offenbart die Essenz der Gegenwart die, wenn wir das fertige Werk betrachten, zur Vergangenheit geworden ist.

Die entstehenden Farbfelder, Formen, Striche und Linien im fertigen Gemälde stehen für sich und entziehen sich einer intellektuellen Interpretation. Der Betrachter verbindet das Gesehene mit seinen inneren Bildern und Assoziationen. Bestenfalls gelingt – beim Eintauchen in zwei übereinander gelagerte Farbflächen beispielsweise – eine Gewahrwerdung des jetzigen Augenblicks.

Künstlerisch geprägt wurde ich durch Joh. Seb. Bach, John Cage, Agnes Martin und Cy Twombly.

English Version:

My intention is to capture and visualize the moment through color and form, rhythm, and dynamic gestures. Each brushstroke reveals the essence of the present, which has become the past in the finished work.

The resulting color fields, shapes, strokes, and lines in the finished painting stand alone and defy intellectual interpretation. The viewer connects what they see with their inner images and associations. In the best case, this is achieved—for example, by immersing themselves in two superimposed color fields—an awareness of the present moment.

Burglind Jonas, 2025

Die Kunst der Zeichnung

Zu der Bildserie der „Variationen“ von Burglind Jonas, 2011

Von Michael Stoeber

Die Zeichnung ist ein Kurzschluss zwischen Hirn und Hand. Sie ist die rascheste Verbindung zwischen innerem und äußerem Bild, disegno interiore und disegno esteriore, wie die Kunsttheoretiker der Renaissance befanden. Daher ist auch die sprachliche Verbindung zwischen dem „Zeichnen“ und dem „Zeigen“ eng. In der Regel zeigt die Zeichnung, was vom Künstle bewusst gesehen wird. Anders bei den Zeichnungen von Burglind Jonas. In einer Art hellwachem Traumzustand schöpft die Künstlerin ihre Motive aus dem Reich des Unbewussten und Halbbewussten. In einer Weise, die der écriture automatique der Surrealisten ähnelt, schaltet sie beim Entstehen ihrer Bilder jede rationale Kontrolle und Steuerung weitgehend aus. Allerdings – wenn sie dann weiterzeichnet, ist sie mit allen kognitiven Sinnen bei der Arbeit. Jeder weitere künstlerische Schritt unterliegt einer strengen Strategie, die Ähnlichkeit mit der musikalischen Form der Fuge hat.

Auf der Eingangszeichnung ihrer Bildserie sehen wir „Vier Motive“ oder Themen, so viele wie manche Fugen Stimmen haben. Mit blauem Kugelschreiber, rotem Gelroller und grauem Edding hat Jonas auf gelblichem Karopapier Gebilde gezeichnet, die zwischen gegenständlichem Verweis und abstrakter Anmutung schwanken. Sie sind offen für unterschiedliche Interpretationen. Nicht unähnlich komplexen Vexierbildern entziehen sie sich jeder eindeutigen Aussage. In ihnen geht das Auge des Betrachters auf eine Reise, auf der er ständig neue Entdeckungen macht. Und wie bei einer Reise sieht jeder Teilnehmer etwas anders, weil er andere Akzente und Schwerpunkte setzt. So viel indes ist sicher: Wir erkennen Menschen, Männer und Frauen. Eher fragmentarisch als komplett, Köpfe und Beine, Brüste und Bäuche, Körperformen, in- und übereinander gelegt. Sie bilden Cluster, scheinen Teilnehmer eines Auflaufs, einer Orgie oder eines Tanzes. 

Zugleich sind die „Vier Motive“ seltsame Satelliten, für welche die Gesetze der Schwerkraft nicht zu gelten scheinen. Die im Raum schweben und aus der orthogonalen Ordnung des Bildes ausgebrochen sind, mal enger und mal weniger eng miteinander verbunden. Mal verknäult und verdichtet die Zeichnung die Striche, dann wieder zieht sie diese weit auseinander. Mal überwiegen bei der Ausarbeitung die Blau-, dann wieder die Rottöne. Nach der Exposition der in tagträumerischer Manier gewonnenen Motive folgt ihre Variation. Hierbei geht die studierte Künstlerin und Musikerin Burglind Jonas in kartesianischer Weise zu Werk. Sie arbeitet nun streng kalkuliert und rational mit ihrem Material. De more geometrico. Wie in der Kunst der Fuge spiegelt sie ihre Motive, vergrößert oder verkleinert sie und arbeitet mit Kontrapunkten und Permutationen.

So ist die Topographie von „Invention 1“ durch Umkehrungen und Wiederholungen bestimmt, die sich aus dem Formenrepertoire des dritten und vierten Motivs der Exposition bedienen. Unübersehbar markiert und strukturiert ein mit Silberstift konturierter Kopf, der aus dem eher lockeren Gestaltenverbund des dritten Motivs herausragt, als wiederkehrendes Thema die Zeichnung von „Invention 1“. Imitationen und Variationen sind hier auch in anderer Weise unübersehbar. Zum Beispiel in einem Wirbel sich verdichtender blauer Linien, deren Urbild sich gleichfalls im dritten Motiv ausmachen lässt. Nur sind die Wirbel jetzt kräftiger. Ihre blauen Linien treten prononcierter hervor und bestimmen in regelmäßiger Wiederholung wie rhythmische Paukenschläge das Gesicht der Zeichnung. Die Strategie formaler Steigerung lässt sich auch bei den aus Motiv 3 übernommenen roten Flecken beobachten und bei der Inbesitznahme eines Paares weiblicher Beine aus Motiv 4.

In „Invention 2“ und den drei „Fugativ“-Zeichnungen werden die Verweise auf die Eingangsmotive noch komplexer, weil Jonas nun auf alle vier Themen zurückgreift, was sich vor allem in der formalen Ausdehnung der „Fugativ“-Zeichungen spiegelt. Sie lösen das polyphone Prinzip der Fuge ein. Noch deutlicher wird das, wenn in den Titeln von „Fugativ in ais“ oder „Fugativ in G“ die Rede ist. Wobei die Wahl der Tonart ein emotionales Klima beschwört, dass die Zeichnungen auf der Ebene der Farben einlösen. Durch einige „Fugativ“-Zeichnungen zieht sich ein wagerechter roter Strich, als wolle er sie in zwei Teile teilen, nicht unähnlich der Horizontlinie in Landschaftsdarstellungen. Für Jonas markiert er die Augenhöhe des Betrachters, so wie die fünf Linien des Notenpapiers die Tonhöhe definieren. Er sorgt aber auch für eine metaphorische Qualität des Bildes. Der Horizontstrich teilt es in Sphären des Oben und Unten. In manichäischer Sicht repräsentieren sie zugleich Himmel und Hölle, gut und böse. Für diese Bilder gilt das so wenig wie für die Musik, auf die sie Bezug nehmen. Es gibt nur das ewige Spiel von Wiederholung, Variation und Spiegelung. Ein gnadenloses „semper idem“ – wie im wirklichen Leben. 

Michael Stoeber , Eröffnungsrede 2006 Galerie Eisfabrik Hannover

… in ihrer Kunst und unter ihrer Hand wird das, was wir normalerweise als wertlos oder hässlich empfinden, schön. Mit dieser dialektischen Verkehrung lehrt sie uns vor jeder spezifischen Betrachtung ihrer Einzelwerke ganz allgemein unsere Wertsysteme zu überdenken, auch unsere Affekte zu betrachten und darüber nachzudenken, warum wir vor bestimmten Gegenständen reagieren, wie wir reagieren.

Keine kleine Rolle spielt dabei die herausragende Besetzung der Farbe Rot und 

Rosa in den Werken der Künstlerin. Es gibt einen Satz von Burglind Jonas, der 

lautet “Glück ist rosa.” Aber er ist mit Vorsicht zu genießen wie ihre Bilder 

und Arrangements. Rot und rosa, sowie der Glanz in Jonas Werken künden 

nicht nur von Überhöhung, sondern haben auch eine absurde Seite. 

In den seit 2012 entstehenden  „Polsterbildern“ wird die Zusammenziehung von Gegensätzen vor allem auf der Ebene von Form und Material ausgetragen: Monochromie und Farbvielfalt, Leinwand und Dekostoff, Spitze und Schmucksaum, Ornament und Sprühlack. Die Allianz des Disparaten wird überwölbt von der Zusammenziehung des vermeintlich Wertvollen mit dem vermeintlich Wertlosen. 

Indem die Künstlerin Müll von der Straße aufhebt und „wie Blüten“ unter Glas presst, prononciert sie das Konsumistische des Alltags. Seinen Ersatzcharakter.

Die Gesamtheit dieser Motive organisiert sich dann zur Partitur eines Wertbewusstseins, wie es unorthodoxer, unbekümmerter, fröhlicher und ironischer nicht sein könnte.